Tai Chi

Tai Chi wird im Westen, ebenso wie Qi Gong zu den Entspannungsmethoden gerechnet.
In seiner Heimat China zählt Tai Chi allerdings wie Kung Fu und andere zu den Kampfkünsten.
Wie kann es zu so unterschiedlichen Kategorisierungen kommen?
Jeder Kampfstil, egal ob Karate, Kung Fu, Hapkido oder das indische Kalarippayat besteht aus einzelnen Bewegungen, die auf einen (imaginären) Gegner angewendet werden.
Dies geschieht entweder als Reaktion auf einen Angriff oder als (Gegen-)Attacke.
Da sich bei einem Kampf die anzuwendende Technik aus der Situation ergibt und häufig in Verbindung zu einer vorangegangenen oder nachfolgenden Bewegung steht, wurden verschiedene Choreographien entwickelt, um eben dieses zu trainieren.
Daraus entstanden die diversen Formen im Tai Chi, die sich in verschiedene Familien-Stile aufteilen lassen, aber auch in Formen mit leerer Hand oder Waffenformen.
Die Familienformen waren über lange Zeit, oft im Geheimen trainierte, wohl gehütete Geheimnisse, die nur an würdige Schüler weiter gegeben wurde. Wer das Zeug zu einem Meisterschüler hatte und in die geheimsten Techniken eingeweiht wurde, wurde durch die Großmeister entschieden.
Bei diesen geheimen Techniken konnte es sich um besondere Atemtechniken handeln, spezielle, äußerst wirkungsvolle Angriffs- oder Verteidigungstechniken oder aber Techniken zur Leitung des Qis.
Das Erlernen der körperlichen Techniken (Tritte, Schläge, Stöße und Abwehrbewegungen)ist im vollen Kampftempo kaum möglich, da das menschliche Auge zu langsam ist um alle Details aufzunehmen. Selbst bei dem langsamen Übungstempo kann sich der Beobachter zumeist nur entweder auf die Füße, die Hände oder die Körperausrichtung und Gewichtsverlagerung konzentrieren.
Also fängt der Übende mit einem sehr langsamen Tempo an, welches ihm erlaubt, die Übung möglichst korrekt auszuführen und sie aus einer anderen Bewegung heraus anzuwenden.
Wenn dies gelungen ist und das Timing im Zusammenspiel von Händen, Füßen, Achsausrichtung, Gewichtsverlagerung und Orientierung im Raum klappt, kann mit der Atmung und der Leitung der Energie begonnen werden um den Erfolg am potentiellen Gegner zu optimieren.
Die Formen sind zumeist so gestaltet, dass Aktionen, die zum imaginären Gegner hin ausgeführt werden mit dem Ausatmen kombiniert werden, das Einatmen erfolgt dann bei den dazwischen liegenden Bewegungen, die eher zum eigenen Körper hin ausgeführt werden.
Die Energie wird in der Regel zu den Körperpartien geleitet, die „Feindkontakt“ haben. Es handelt sich hierbei um so genanntes hartes Qi, welches die Wirkung der Aktion verstärken und gleichzeitig den eigenen Körper schützen soll.
Da beides nicht ohne Üben gelingt ist auch hier das langsame Tempo sehr vorteilhaft.
Es ermöglicht dem Übenden auch in die Bewegung hinein zu fühlen um diese noch weiter zu optimieren.
Insgesamt soll ein harmonischer Fluss der Bewegungen entstehen.
Die hinter den Tai Chi-Formen stehende Philosophie hat das Wasser zum Vorbild. Dieses weicht geschmeidig Hindernissen aus, ist nicht zu fassen, hat aber die Kraft ganze Gebirge abzutragen.
Eine Anekdote über einen Tai Chi-Meister, der als Vogelfänger berühmt war, weil er den Vögel während des Fangs nicht eine Feder zerzaust hatte verdeutlich das Prinzip.
Dieser Meister fing die Vögel dadurch, dass er sich ganz ruhig an einer geeigneten Stelle hinsetzte und seine Hand ausstreckte. Setzte sich nun ein Vogel darauf und wollte wieder losfliegen, so senkte der Meister seine Hand ein kleines Bisschen, gerade so viel, dass der Vogel sich nicht abstoßen konnte und sich wieder an den Finger klammerte. Dies machte er so oft, bis der Vogel erschöpft war und in einen Käfig gesetzt werden konnte.
Dieses Wahrnehmen kleinster Impulse des Gegners wird im Tuishu, den Push-hands geübt.
Sie bilden die einzigen Partnerübungen im Tai Chi.
Hat der Übende seine Hausaufgaben gemacht, wird das Tempo angezogen, bis die Übungen im Kampftempo ausgeführt werden können.
Im Westen hat sich Tai Chi bisher eher selten als Kampfkunst etabliert.
Wir praktizieren hier in der Regel die langsame Übungsvariante, die in der Tat auch sehr entspannend sind, wenn man sich vom sanften Fluss der Bewegungen tragen lässt.
Die Konzentration auf bestimmte Körperpartien hat zudem den positiven Nebeneffekt, dass die dort angesiedelten Meridiane mit etwas mehr Energie versorgt werden, was insgesamt die Gesundheit und das Wohlbefinden fördert.
Die speziellen Atemtechniken werden von den Meistern zumeist nicht an Westler weitergegeben.
Eine tiefe und entspannte Bauchatmung ist für den Hausgebrauch auch ausreichend.
Die Waffenformen stellen nochmal eine besondere Sparte dar, bei der der Kampfcharakter deutlich zu Tage tritt. Als Waffe eignet sich fast alles, was mit Händen zu greifen ist: Stöcke (lang und kurz), Schwerter, Säbel, Fächer und noch vieles mehr.
Bevor man sich einer Waffenform zuwendet, ist es hilfreich, vorher eine Form mit der leeren Hand trainiert zu haben um bereits Erfahrungen mit den oft speziellen Bewegungsmustern zu haben.
In diesem Sinne: Neue Wege finden und ankommen im Leben.
Eure Andrea